Das Projekt ist eines der ersten, welches Transparenz in historischer Perspektive empirisch gesättigt untersuchte. Es behandelte die Genese und den Bedeutungszuwachs des Konzepts der „Transparenz“ in Deutschland zwischen dem Kaiserreich und der späten Bonner Republik. Die empirische Grundlage bildeten erstens parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die in einer Längsschnittstudie zwischen 1873 und 1973 betrachtet wurden, sowie zweitens der Flick-Skandal als Fallstudie (in dessen Zusammenhang ebenfalls Untersuchungsausschüsse eine Rolle spielten).
Im Rahmen des Projektes wurden zwei Dissertationen verfasst:
Zu den übergreifenden Ergebnissen gehört die Erkenntnis, dass TransparenzierungsÂpraktiken und -ansprüche (im Sinne der Zugänglichkeit von Informationen über politische Entscheidungen) seit dem Kaiserreich wahrnehmbar sind, allerdings zunächst gering ausgeprägt und insbesondere noch nicht unter der Vokabel „Transparenz“. Von Beginn an hatte Transparenz stets auch die Funktion, Korruption und Vorteilsnahme zu bekämpfen.
Derartige Ansprüche wurden zunächst hauptsächlich von Parlamentariern als Mittel der Kontrolle von Regierung und Verwaltung angemeldet. Auch wenn die Presse sich diesen Ansprüchen anschloss, wird damit die in der Forschung verbreitete (und vor allem auf die Geschichte der USA bezogene) These abgeschwächt, dass Transparenzierungsdruck hauptsächlich von Journalisten ausging.
Noch zaghaft in den 1970ern, und dann mit großer Verve in den 1980er Jahren entwickelte sich Transparenz als zentrale politische Forderung, die kaum noch kritisierbar war. Dies stellt eine bis heute wirkende Zeitenwende dar insofern, als transparenzkritische Argumente (Persönlichkeitsschutz, Geheimhaltung von Verwaltungsdokumenten, Gewaltentrennung bei zeitgleichen strafrechtlichen Ermittlungen etc.) bis zu diesem Zeitpunkt großes Gewicht besaßen. Allerdings gab es auch im späten 20. Jahrhundert noch Debatten über die Grenzen von Transparenz.
An der Ausweitung (oder Einschränkung) von Transparenzierungsmöglichkeiten lässt sich zudem die relative Macht des Parlaments gegenüber der Exekutive, aber auch gegenüber anderen Akteuren ablesen. Im frühen bis mittleren 20. Jahrhundert ging die Machtausdehnung der Parlamente mit zunehmenden Transparenzpraktiken einher. Die Flick-Affäre zeigte, wie es neuen Akteuren mit einerseits linksalternativen, andererseits neoliberalen Grundsätzen gelang, das Parlament und die etablierten Parteien in eine Art Transparenz-Defensive zu drängen. Damit wurde eine neue Form politischer Auseinandersetzung und eine neue Form von Parteienkritik begründet.
Auf methodischer Ebene ist deutlich geworden, dass Transparenz als analytische Kategorie nur sinnvoll verwendet werden kann, wenn man zahlreiche Unterkategorien bildet (z.B. Ergebnistransparenz, Verfahrenstransparenz und viele weitere).
Beide Arbeiten stützen empirisch zentrale Annahmen der „kritischen“ Transparenzforschung, die vor allem in den Sozialwissenschaften beheimatet ist. Das Projekt hat insbesondere gezeigt, dass Transparenzbemühungen in der Regel nicht Vertrauen schaffen, sondern einen Ausdruck von Misstrauen darstellen. Es hat deutlich werden lassen, dass der Parlamentarismus mit Transparenzforderungen zwar gestärkt oder modernisierend transformiert, aber ebenso auch unterminiert werden kann. Normativ gesehen kann Transparenz daher nicht ohne Kontextualisierung als positiv bewertet werden – sie birgt auch erhebliche Gefahren für ein politisches System.
Today, the demand for transparency is omnipresent. In particular, transparency is considered a prerequisite for good governance, for political participation and democracy. On closer inspection, however, transparency proves to be ambivalent. For complete transparency has not yet been achieved anywhere. Moreover, measures to increase transparency can have the opposite effect and stir up mis-trust. Historians are just beginning to discover this topic. The volume aims at elucidating the opportunities and the restrictions of transparency in historical research. It assembles contributions covering European history since the 19th century. The contributors focus on political and cultural history, but include also economic and media history as well as the history of ideas. They analyse publicly debated demands and efforts for transparency, conceived as the access to information or its disclosure.
Erschienen bei: Vandenhoeck & Ruprecht unipress
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Historie der Transparenz. Sichtbarmachung von Politik in Deutschland und Frankreich 1890-1990 / Histoire de la Transparence. La politique rendue visible : Allemagne et France, 1890-1990
Seit 2011 besteht eine deutsch-französische Forschergruppe, die sich mit Fragen der vergleichenden Korruptionsgeschichte und verwandten Themen im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigt. Zu den wichtigsten französischen Partnern gehören Frédéric Monier (Avignon) und Olivier Dard (Paris/ Sorbonne). Zwischen 2018 und 2021 finanzieren die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Agence Nationale de la Recherche das nunmehr dritte Verbundprojekt dieser Gruppe.
Transparenz ist heute ein politischer Wert, der für Demokratie, Teilhabe und Verantwortlichkeit steht. Dabei geraten meist zwei Dinge in Vergessenheit: Transparenzforderungen sind weder ganz neu noch überzeitlich, sondern sie haben eine Geschichte und sind kontextgebunden. Außerdem haben sie in der Regel ambivalente Wirkungen. Da es noch so gut wie keine historischen Studien zur Geschichte von Transparenz gibt, setzen wir zunächst an der politischen Geschichte an. Transparenz ist nur scheinbar die Eigenschaft eines politischen Systems. In Wirklichkeit schlägt sie sich hauptsächlich in politischen Forderungen nach Transparenz nieder – insbesondere nach Zugang zu Informationen und Materialien, die das Politische ‚lesbar‘ machen sollen. Wir widmen uns der Geschichte von Transparenzforderungen im Bereich der Politik in Deutschland und Frankreich. Empirisch konzentrieren wir uns erstens auf die lange Geschichte Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zwischen ca. 1890 und 1970, zweitens auf zwei Skandale aus dem Bereich der Parteienfinanzierung (Flick-Skandal 1981-1985 und Affäre Urba 1989-1993). Folgende Fragen wollen wir beantworten: Wann wurde Transparenz eine effektive politische Forderung? Welche Maßnahmen wurden vorgeschlagen? Wer waren die zentralen Akteure? Welche Kontexte sind zu beachten? Wirkungen: Führte die Transparenzforderung zu mehr oder weniger belastbarem Wissen über politische Prozesse? Stärkte oder reduzierte sie Vertrauen in politische Prozesse?
Zu unseren Arbeitsphypothesen gehört die Annahme, dass sich die Transparenzforderung in der ersten Jahrhunderthälfte entwickelte und zunächst eher auf das politische Personal (individualisiert und fallbezogen) richtete. Ab den 1970er/ 1980er Jahren erlangte die Transparenzforderung eine neue Dimension, indem sich die Forderung nach im System selbst angelegter Transparenz durchsetzte. Sollte sich diese Hypothese bestätigen, spräche viel für die These, dass mit zunehmender Transparenzforderung nicht das Vertrauen in die Demokratie gestärkt wurde. Außerdem änderte sich die Akteurskonstellation. Ab den 1980er Jahren traten neben der Presse neue zivilgesellschaftliche Akteure in Erscheinung und forderten Instrumente zur Transparenzherstellung.
Wie bereits oben angedeutet, ist das übergreifende Ziel dieses Projekt eine Untersuchung der Transparenzforderung in kritischer Absicht. Es geht darum, auf die Chancen, aber zugleich auch auf Ambivalenzen und ‚Kosten‘ von politischen Transparenzforderungen hinzuweisen. Damit trägt das Projekt im weitesten Sinn zur Reflexion aktueller Konzepte von Teilhabe und Demokratie bei.
Das geplante Projekt soll im deutsch-französischen Vergleich ein letztlich globales Phänomen historisch erklären helfen. Angesichts der disparaten Literaturlage und des potenziell ausufernden Transparenz-Debatte ist es jedoch unabdingbar, eine präzise eingrenzbare Fragestellung mit entsprechenden Fallstudien zugrunde zu legen.
Ziel des Projekts ist eine Untersuchung der Geschichte aktueller Transparenzforderungen im politischen Bereich. Das schließt ausdrücklich auch jene Zeiten ein, in denen das Wort „Transparenz“ in Deutschland und Frankreich noch rein physikalisch verwendet wurde. Das hat Auswirkungen auf unser Konzept von Transparenz. Insofern bedeutet Transparenz die Forderung nach Zugänglichkeit von Informationen, so dass politische Entscheidungsprozesse ‚sichtbar‘, nachvollziehbar und kritisierbar werden.
Wir vergleichen konkret die politischen Systeme in (West-)Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert (histoire comparée) und fragen nach der Rezeption im jeweils anderen Land (histoire des transferts). Zeitlich konzentrieren wir uns auf das Problem der Kontrolle legitimer politischer Macht in den beiden Gesellschaften zwischen Dritter Republik bzw. Deutschem Kaiserreich und der Fünften Republik bzw. der späten Bonner Republik.
Um dies umsetzen zu können, widmen wir uns in zwei Forschungslinien zwei Grundformen politischer Kontrolle im 20. Jahrhundert, nämlich Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen / Commissions d’enquête parlementaire und politischen Skandalen (letztere am Ende des Untersuchungszeitraums).
Die Untersuchungsausschüsse bilden ein innerinstitutionelles Verfahren, das in beiden Ländern und in unterschiedlichen Epochen Anwendung fand. Wir betrachten den Zeitraum ca. 1890 bis ca. 1970. Es wird nicht darum gehen, die Geschichte einzelner Ausschüsse nachzuerzählen, sondern nach den strukturellen Veränderungen über die longue durée hinweg zu fragen. Im Kern wird es darum gehen zu untersuchen, wann, mit welchen Argumenten und mit welchem Erfolg hier Forderungen nach Transparenz im oben genannten Sinn formuliert wurden. Mit dem Ziel einer weiteren Eingrenzung sollen Fälle bevorzugt werden, in denen es um das Fehlverhalten von Amtsträgern oder Parlamentariern ging.
Die zweite Forschungslinie ist zwei großen Skandalen des späten 20. Jahrhunderts gewidmet, dem Flick-Skandal (1980er Jahre) und der Affäre Urba (1989-1993). Dem liegt die Arbeitshypothese zugrunde, dass zwischen 1970/1990 neue Transparenzforderungen formuliert wurden. Besonderes Augenmerk gilt dem Erstarken zivilgesellschaftlicher, außerparlamentarischer Gruppen. Die Themen weisen Kreuzungspunkte auf: Viele Untersuchungsausschüsse sind aufgrund von Skandalen eingerichtet worden.
Für beide Länder gilt vermutlich: Transparenzforderungen in der Politik gibt es seit dem frühen 20. Jahrhundert. Jedoch änderte sich die Tragweite und es änderten sich die Akteure. Dabei ging es zunächst stärker um die Klärung von Einzelfragen. Spätestens in der Zwischenkriegszeit 1918-1933/39 gab es ein verbreitetes Misstrauen gegenüber der politischen Elite, jedoch richtete sich die Transparenzforderung zunächst eher gegen das politische Personal (individualisiert und fallbezogen). Seit den 1970er/80er Jahren erlangte die Transparenzforderung eine neue Dimension, weil sich zunehmend die Forderung nach im System selbst angelegter Transparenz und Verantwortlichkeit durchsetzte. Sollte sich diese Hypothese bestätigen, spräche viel dafür, dass mit zunehmender Transparenzforderung eben nicht das Vertrauen in die demokratischen Institutionen gestärkt wurde sondern umgekehrt, ihre Legitimität sank. Außerdem änderte sich die Akteurskonstellation. Ab den 1980er Jahren traten neben der Presse neue zivilgesellschaftliche in Erscheinung und forderten Instrumente zur Transparenzherstellung.
Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich bestehen zum einen hinsichtlich der Rolle der Parteien und der zivilgesellschaftlichen Akteure, die in Deutschland stärker ausgeprägt waren als westlich des Rheins. Zum anderen ist der Begriff der Transparenz im Sprachgebrauch offenbar in Frankreich früher aufgetaucht. Möglicherweise ist dieses frühere Interesse an „Transparenz“ auf einen Umstand zurückzuführen, den wir in früheren Untersuchungen festgestellt haben: Politische Begünstigung / „faveurs“ wurden in Frankreich traditionell offener angeboten und eingefordert als politische Patronage in Deutschland.