Projektzusammenfassung und Ergebnisse


Transparenz durch Ausschüsse? Parlamentarische Untersuchungsausschüsse als Reaktion auf Korruptionsskandale in Deutschland (1873-1973)

Die Studie untersuchte den Zusammenhang von Transparenz(-forderungen) und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen vom Kaiserreich (1873) bis zur Bonner Republik (1973) anhand von sechs Fallbeispielen. Die Zeit des Nationalsozialismus und der DDR wurden in dieser Arbeit nicht behandelt, da parlamentarische Untersuchungsausschüsse hier weitestgehend nicht zum Einsatz kamen. Dabei sollten zwei Thesen überprüft werden. Erstens wird in der Studie davon ausgegangen, dass Untersuchungsausschüsse als Arenen zur Forderung nach und zur Herstellung von Transparenz fungierten und nicht nur als Foren politischer Auseinandersetzung. Den Ausschüssen kam damit eine wichtige Symbolkraft zu, um die Stärke des Parlaments oder des politischen Systems aufzuzeigen. Obgleich das Wort „Transparenz“ erst ab den 1960er-Jahren vereinzelt auftrat, wurde zweitens angenommen, dass Transparenz als Argument eine wichtige Bedeutung in den Debatten in und über die Untersuchungsausschüsse zukam. Dabei spiegelten sich die Ansichten der verschiedenen Akteurinnen und Akteure wider.

Transparenz wurde bereits seit dem Kaiserreich als das Mittel zur Bekämpfung von Korruption wahrgenommen. Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen bzw. -kommissionen kam dabei eine bedeutende Rolle zu. Sie sollten durch ihre Ermittlungen Aufklärung schaffen und die Stärke des Parlaments oder des gesamten politischen Systems aufzeigen. Die Ausschüsse stellten eine wichtige Arena dar, in welcher Transparenz gefordert und über sie diskutiert wurde. Dadurch konnte, fokussiert auf einen Skandal, darüber debattiert werden, was zu der jeweiligen Zeit unter Transparenz zu verstehen war. Transparenz wurde seit 1873 als Argument angeführt, obgleich der Begriff erst ab den 1960er-Jahren fiel. Die Bedeutung und Rolle von Transparenz sowie das Ansehen der Ausschüsse unterschied sich, trotz vieler Gemeinsamkeiten, in den verschiedenen Fallbeispielen. Die Studie konnte dabei einen Beitrag zur Korruptions-, Skandal- und Transparenzgeschichte leisten und bereits vorhanden Ergebnisse bestätigen. Zudem konnte sie die Notwendigkeit der historischen Forschung zu Transparenz und Untersuchungsausschüssen sowie ihrer Kombination aufzeigen.

Transparenz als Forderung und Argument

Im Kaiserreich gab es keine parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, sondern gemischte Untersuchungskommissionen, die sowohl aus Parlaments- als auch aus Regierungsvertretern bestanden. Sie tagten nicht öffentlich und nicht einmal alle Parlamentarier durften an ihren Sitzungen teilhaben. Die Untersuchungskommissionen im Kaiserreich dienten weniger als ein Instrument zur Schaffung von Transparenz gegenüber der Bevölkerung. Vielmehr sollte diese Transparenz gegenüber dem Parlament gelten, obgleich 1913 die Forderungen nach Transparenz gegenüber der Bevölkerung zunahmen. Dadurch sollte die Macht des Parlaments gegenüber der Regierung gestärkt werden: Die Regierung konnte nicht mehr unter Ausschluss des Parlaments agieren. Die Studie zeigt, dass dem Parlament 1873 bereits eine gewisse Stärke zukam, die bis 1913 weiter zunahm. Dennoch konnte das Parlament seine Interessen nicht komplett durchsetzen. Obgleich die Ausschüsse selbst nicht als Transparenzinstrument agierten, fungierten sie dennoch als eine Arena, in welcher herausgearbeitet wurde, was unter Transparenz zu verstehen war. Es ging dabei vor allem um eine Transparenz der Ergebnisse im Nachhinein. Transparenz als Argument wurde bereits hier angeführt, wenn auch weniger als in den demokratischen Systemen.

In der Weimarer Republik handelte es sich bereits um rein parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die nun Verfassungsrang besaßen. Sie spiegelten die Stellung des Parlaments als führendes politisches Element des Systems wider. Sie mussten weitestgehend öffentlich tagen und somit nicht nur Transparenz gegenüber dem Parlament, sondern auch der Öffentlichkeit schaffen. Sie war ein wichtiges Argument der Republikanhängerinnen und -anhänger zur Verteidigung des politischen Systems: Anders als in nicht-demokratischen Systemen würde hier hin- und nicht weggeschaut. Umgekehrt betonten Gegnerinnen und Gegner (insbesondere die rechten Parteien) die Kritik an transparenten Ermittlungen: Durch sie könnten Verleumdungen gefördert und die juristischen Ermittlungen gefährdet werden. Die KPD wiederum forderte volle Transparenz, also den Zugang zu allen Informationen. Dabei kritisierte sie wie auch die rechten Parteien, die vermeintliche Scheintransparenz: Letztendlich würden die Ausschüsse versuchen, Missstände zu kaschieren. Insgesamt wurden die Ausschüsse oft dafür kritisiert, ein Instrument für den parteipolitischen Kampf zu sein. Die Kritik an den Ausschüssen nahm im Lauf der Zeit stark zu. Hierbei zeigten sich auch die Grenzen von Transparenz: Sie führte letztlich eher zu Misstrauen als Vertrauen.

In der Bonner Republik wurden parlamentarische Untersuchungsausschüsse erneut in die Verfassung aufgenommen. Sie sollten Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit schaffen. Es herrschte mehr Einigkeit darüber, was unter Transparenz zu verstehen sei, als in der Weimarer Republik. Es ging hauptsächlich um Prozess-Transparenz. Lediglich die KPD forderte erneut volle Transparenz aller Informationen. Selten wurde Ergebnis-Transparenz im Nachhinein gefordert. Im Allgemeinen sollten die Ausschüsse vor allem die Stärke des Parlaments zeigen und verdeutlichen, dass es in der Lage war, sich selbst zu reinigen. Die Ausschüsse wurden vor allem 1950/51 nur wenig kritisiert. Das junge politische System sollte nicht gefährdet werden. Dies änderte sich in den 1970er Jahren und die Kritik nahm zu. Erneut zeigten sich aber auch hier die bereits für die Weimarer Republik konstatierten Grenzen von Transparenz.

Transparenzbegriffe

Zu den jeweiligen Zeitpunkten wurden verschiedene Begriffe verwendet, um „Transparenz“ auszudrücken. „Öffentlichkeit“ und „öffentlich“ wurden einerseits als Synonym, andererseits auch als Referenz von Transparenz genutzt. Begriffe wie „Aufklärung“ sowie Licht- und Sauberkeitsmetaphern wurden ebenfalls regelmäßig angeführt. Zudem fungierten „Verdunklung“ oder „Vertuschung“ als Gegenbegriffe. Alle Begriffe wurden in allen Perioden benutzt, allerdings mit unterschiedlicher Intensität. Dabei spiegelten sich die allgemeinen Debatten und insbesondere der Korruptionsdiskurs der jeweiligen Zeiten wider. Durch Ablösung diese breiten Begriffsfeldes durch die Vokabel Transparenz engte sich der Diskursraum ein: als politisches Schlagwort wurde es machtvoller, zugleich verschwanden die unterschiedlichen Nuancen.

Die Mittel zur Herstellung von Transparenz

Die Untersuchungskommissionen im Kaiserreich verfügten kaum über Möglichkeiten, Transparenz zu schaffen. Die Sitzungen waren nicht öffentlich, die Berichte lückenhaft und Protokolle waren nur teilweise geführt. Lediglich die Debatten im Parlament und die Berichterstattung der Presse schafften eine gewisse Öffentlichkeit. Teilweise trugen sie gar zur Intransparenz gegenüber der Öffentlichkeit bei, da sich ein Teil der Diskussionen aus dem Plenum in nichtöffentliche Sitzungen verlagerte.

Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in der Weimarer und Bonner Republik verfügten über die gleichen Mittel zur Herstellung von Transparenz. Die Sitzungen waren – mit wenigen Ausnahmen – öffentlich und schafften somit einen direkten Zugang zu Informationen. Es gab unterschiedliche Stufen von Transparenz: die öffentlichen Sitzungen, die nicht-öffentlichen Sitzungen und die geheimen Sitzungen. Zudem gab es stenographische Protokolle. Während aus der Weimarer Republik nur die Protokolle der öffentlichen Sitzungen vorhanden sind, existierten in der Bonner Republik drei Formen von Protokollen: öffentliche Sitzungen, nicht öffentliche Sitzungen und die Wortprotokolle der nicht öffentlichen Sitzungen, die für Außenstehende zugänglich gemacht wurden. Der Bericht sollte zudem die Ergebnisse im Nachhinein transparent machen. Ein weiteres wichtiges Mittel war die Zusammenarbeit mit der Presse. Diese diente als Intermediär zwischen Ausschuss und Bevölkerung.

Die Ausschüsse setzten insbesondere auf Prozess-Transparenz in Echtzeit. War dies nicht möglich, sollten die Prozesse oder aber auch nur die Ergebnisse im Nachhinein zugänglich gemacht werden.

 

Forschungslinie 1: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse: Zur Regulierung von Geheimnis und Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert/ Les commissions d’enquêtes parlementaires : la régulation du secret et du public au XXe siècle


1a) Untersuchungsausschüsse in Deutschland vom Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik (ca. 1890-1970)

Sandra Zimmermann

1b) Les commissions d’enquête parlementaire en France : publicité, sphère privée et secret au prisme des débats politiques (vers 1890- vers 1968)

 

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse wurden in Frankreich noch kaum historisch untersucht. Die bisherige Forschung hat sich den langen historischen Traditionen dieses Phänomens gewidmet,  dem Transfer von Praktiken insbesondere in Gestalt des einflussreichen Vorbilds der britischen enquiry committees und schließlich wurden die Commissions d’enquête als wichtige Arenen für die Durchsetzung der Gewaltenteilung und einer republikanischen Kultur seit der Gründung der Dritten Republik 1870 interpretiert. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Arbeit der Commissions hervorragendes Material liefert, anhand dessen sich die Transformation der politischen Kultur, aber auch die Widerstände in Politik und Verwaltung gegen das republikanische Ideal untersucht werden können.

Bisher gibt es kaum geschichtswissenschaftliche Arbeiten zu Untersuchungssauschüssen in Deutschland. Mit Ausnahme der bereits 1960 veröffentlichten Studie von Winfried Steffani zum Preußischen Landtag während der Weimarer Republik gibt es keine Monographie. Für die Weimarer Republik sind zwei Dissertationen zu nennen, die sich mit Korruptionsskandalen beschäftigen und dabei unsystematisch und eher nebenbei auf Untersuchungsausschüsse eingehen. Für die frühe Bundesrepublik lässt sich mehr Literatur konstatieren, diese ist jedoch der Politik- oder Rechtswissenschaft der 1980er Jahre zuzurechnen und konzentriert sich häufig auf verfahrenstechnischen Randbedingungen.  Mit dem Thema Transparenz wurden die Ausschüsse und Comités noch nicht in Zusammenhang gebracht.

Aufgrund unserer Vorarbeiten in den gemeinsamen Projekten können wir belegen, dass jeder größere Korruptions- bzw. „finanz-politische“ Skandal („scandale politico-financier“) seit Panama 1892 regelmäßig zu einem Untersuchungsausschuss geführt hat. Das gilt auch für Deutschland: Seit dem Kaiserreich waren Untersuchungsausschüsse zentrale Werkzeuge oppositioneller Politik. Von den ersten zaghaften Versuchen der Sozialdemokratie im Kaiserreich Untersuchungsausschüsse zu etablieren (Tippelskirch-Ausschuss) über die mächtigen antidemokratischen Agitationen während der Weimarer Republik (Barmat, Sklarek, Osthilfe) bis zur Bundesrepublik stellten Untersuchungsausschüsse wichtige Arenen der politischen Auseinandersetzung und der Aushandlung von Normen dar – und zwar auf juristischer, journalistischer und politischer Ebene. Als Schnittstelle zwischen Presse, Politik und Justiz schufen sie in Deutschland wie in Frankreich Arenen zur Forderung nach und Herstellung von Transparenz avant la lettre zwischen diesen Akteuren.

Die Ausschüsse sind mehr als Arenen der politischen Polarisierung, sondern wirken als Regulative, die Reformen anstoßen mit dem Ziel, Normen (Rechtsnormen und moralische Normen) zu verändern – so geschehen im Fall der „Loi Rochette“ von 1914. Ähnliches gilt für Deutschland. Beispielsweise wurden im Anschluss an den Ausschuss, der 1951 Bestechungsvorwürfe gegen Bundestagsabgeordnete im Zusammenhang mit der Wahl Bonns als Bundeshauptstadt untersuchte, Verhaltensregeln und ‚Ehrenordnungen‘ für die Abgeordneten gefordert.

Von diesen Befunden ausgehend verfolgen wir die Hypothese, dass die Ausschüsse eine zentrale Rolle bei der Definition des sich ändernden Verhältnisses zwischen Öffentlichkeit und Geheimnis (insbesondere Staatsgeheimnisse), sowie zwischen Öffentlichkeit und individueller Privatsphäre spielten. In diesem Spannungsfeld trugen sie maßgeblich bei zur Vorgeschichte dessen, was später als Transparenz bezeichnet werden sollte.

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